100 Jahre Jahnturnhalle
(Stand: Oktober 2022)
Die Rieder Jahnturnhalle feiert im Jahr 2023 ihren 100. Geburtstag. Am „23. Maien 1923“ – so die Gravur auf dem Grundstein - führte der damalige Turnlehrer Emil Förster die Turnergemeinschaft abends in einem Fackelzug zur Turnerwiese, wo dann die Grundsteinlegung stattfand und die Bauurkunde eingemauert wurde.
Drei Berufsmaurer und „neunzig“ Turner setzten die Grundfeste. Es gab noch keine Mischmaschinen, keine öffentlichen Mitteln.
Motor, unermüdlicher Kämpfer und Betreiber war Emil Förster. Sein Stolz war es auch, dass trotz der oft bis in die Nacht dauernden Bauarbeiten sein Rieder Turnverein den dritten Sieg im Vereinswetturnen beim Bundesturnfest 1923 in Linz erringen konnte.
Mit welcher Vehemenz diese Idee von den vielen Freiwilligen in die Tat umgesetzt wurde, zeigen diese Daten:
- 23. Mai 1923 - Grundsteinlegung
- 22. September 1923 - Der Dachstuhl wird gesetzt
- 27. September 1923 - Gleichenfeier (nach 5 Tagen)
- 17. August 1924 - Turnhalleneröffnung
Aus bekannten politischen Gründen wurde der Turnbetrieb in der Halle ab August 1934 behördlich eingestellt, die Turnhalle wurde versiegelt.
Der Erweiterungsbau der Turnhalle wurde dennoch beschlossen. Dazu aus den Erinnerungen von Ehrenobmann Hans Badigruber:
„Besonders traf uns die Schließung der Turnhalle, Auflösung des Vereines, Beschlagnahmung des Vermögens und Einstellung des Turnbetriebes.
Nach langem Bemühen durfte 1936 der Turnbetrieb wieder aufgenommen werden, ausschließlich der Jugendabteilungen mit neuen anderen Turnwarten, alles mit Überwachung durch einen politischen Kommissar. Hauptsache wir durften überhaupt wieder turnen. Es wurde wie ein Geburtstag gefeiert, es war wieder ein freudiger Schritt nach vorne.
1938 bekamen wir wieder die Erlaubnis zum freien, unkontrollierten Turnbetrieb. Schon regte sich der Bauwille und Pläne zum Weiterbau der Halle und Umgestaltung im Inneren wurden beschlossen. So konnte ich in einer gemeinsamen Turnstunde verkünden: „Wir bauen!“ Welch weittragender Beschluss! Der straßenseitige Bauabschnitt wurde begonnen, der gesamte Keller ausgehoben, der Hallenboden um ca. 1 ½ m angehoben, mit dem Aushuberdreich der Turnplatz ausnivelliert, ein Rohrnetz für Wasserversorgung angelegt, mit dem Anbau der Straßenfront begonnen und zügig vorangetrieben. Dies war nötig, da bereits die Bewirtschaftungsvorschriften sowie Arbeitskräftesteuerung merkbar wurden. Die politischen Ereignisse trieben zu immer größerem Arbeitseinsatz und so gelang es noch im August und September die nötigsten und wichtigsten Bauarbeiten abzuschließen, ehe an die 100 Turner am 4. September zu den verschiedenen Wehrmachtsabteilungen einrückten. Die Deckenplatte über der straßenseitigen Galerie wurde bis 4 Uhr morgens planiert und um 6:30 Uhr früh marschierten 84 Turner zum Bahnhof, um sich zur Dienstleistung und Ausbildung zu stellen.
… der zweite Weltkrieg war ausgebrochen und noch konnte der Rohbau unter Dach gebracht werden. Erst 1944 konnte die Vollendung erreicht werden, da Teile des Baumaterials abgezogen und umgeleitet wurden.“
Der Beginn des 2. Weltkrieges 1939 brachte den Turnbetrieb fast zum Stillstand. Bis 1943 stand die Turnhalle noch zum Turnen zur Verfügung, dann wurde sie u. a. als Munitions-Lager benützt. Ein Notturnbetrieb wurde in der Turnhalle des Gymnasiums aufrechterhalten. Die Fertigstellung des Anbaues stockte. 1945 Auflösung aller bündischen Vereine und Enteignung des Besitzes.
1950 sammelte Emil Förster wieder alte und junge Turner und begann von Neuem in der unter Zwangsverwaltung stehenden Turnhalle mit dem Turnbetrieb. Sein größtes Verdienst aber wird für immer sein Bemühen um die Wiedererlangung der Rieder Turnhalle bleiben.
In jahrelangen, wechselvollen Schritten vor Gerichten und Verwaltungsbehörden, unerschüttert durch zeitweilige Rückschläge, focht Emil Förster dieses, sein Herzensanliegen bis zum Verfassungsgerichtshof durch. Wo ihm schließlich der erstrebte Erfolg zuteil wurde. Der Turnverein Ried 1848 wurde wieder in seine Rechte eingesetzt. Die Turnhalle gehörte wieder den Rieder Turnern und Turnerinnen!
Doch es hatte sich jahrelang niemand um die Halle gekümmert und es waren schwere Schäden entstanden. Es folgten arbeitsreiche Monate und Jahre.
In den Folgejahren sah die Turnhalle ein aufstrebendes Vereinsleben mit Turnen, Sport und gesellschaftlichem Zusammensein von Alt und Jung, mit Bälle Konzerten und Theateraufführungen.
Die Jahnturnhalle wurde in diesem Zeitraum auch als „Bildungseinrichtung“ genutzt. Einige Klassen der in Ried damals neu gegründeten Handelsakademie wurden hier untergebracht.
Die Jahnturnhalle wurde ständig erweitert, das Turnerbad entstand 1962, der Anbau mit dem Gymnastiksaal 1966. Dies war die Zeit von Turnlehrer Sepp Schendl, an den sich viele Turngeschwister österreichweit noch erinnern werden.
1968 begann ein weiterer Gedanke von Sepp Schendl Formen anzunehmen. Die Einrichtung der Bundesturnschule (BTS) in den leer gewordenen Räumen im 1. Stock im Querbau der Turnhalle.
Die Lehrgänge der Bundesturnschule waren durch viele Jahre hindurch sehr gut belegt. An die 30.000 Kursteilnehmer konnte die BTS in Ried im Laufe ihrer 40 Jahre verbuchen. Diese Lehrgänge hatten auch einen hohen gemeinschaftlichen Wert, abends saß man gerne im Jahnstüberl zusammen und so manche Freundschaften sind entstanden. Von Anfang an wurden hochqualifizierte Lehrkräfte aus Deutschland, der Schweiz und Österreich verpflichtet. Und so gibt es im ÖTB viele Turner und Turnerinnen, die eine persönliche Bindung zur Rieder Jahnturnhalle haben.
Es mussten immer wieder große und kleinere Renovierungsarbeiten, große Sanierungen, Umbauten, Erneuerungen vorgenommen werden. Und immer musste dafür Sorge getragen werden, die finanziellen Mittel aufzubringen und dort wo es ging, Arbeitseinsätze der Turnergemeinschaft zu organisieren.
Im August 2002 hieß es „Land unter“ in der Jahnturnhalle. Bis 1 ½ m hoch stand das Wasser in den Kellerräumen. Die Heizungsanlage konnte nur „schwimmend“ abgeschaltet werden. Vielen waren die Tränen in den Augen, als sie das mitansehen mussten, und manche haben befürchtet, da der Wiederaufbau nicht zu schaffen ist. Dennoch strahlt die Jahnturnhalle selbst nach derartigen Geschehnissen nach wie vor.
Nach diesem einschneidenden Erlebnis folgten die weiteren Modernisierungen und Weiterbauten an unserer Halle im Abstand weniger Jahre.
So wurden im Lauf der Zeit das Dach erneuert, unser Turnerbad generalsaniert, die Heizungsanlage ausgetauscht. Ein großer Brocken war die Sanierung der in die Jahre gekommenen Bundesturnschulzimmer. Mit großer Übersicht wurden hier moderne Unterkünfte geschaffen, die sich großer Beliebtheit erfreuen.
Gleichzeitig wurden aufgrund des großen Andrangs auf unsere Turnstunden und Kurs neue Räume geschaffen und mit dem Keller und dem ehemaligen Spielmannszugs-Proberaum zwei neue Turnsäle gewonnen, sodass mittlerweile auf drei Ebenen in vier Turnsälen gleichzeitig geturnt werden kann.
Im einschneidenden „Coronajahr 2020“ war das Bundesheer in der Jahnturnhalle stationiert und errichtete dort den Gefechtsstand für den Grenzeinsatz im nördlichen Innviertel, während aufgrund der staatlich verordneten Maßnahmen der gesamte Turnbetrieb mit längeren und kürzeren Ausnahmen quasi für 1,5 Jahre stillstand.
Doch auch das konnte uns nichts anhaben, so lief danach der Turnbetrieb wieder zufriedenstellend an und wir blickten zielstrebig vorwärts.
Die größte Sanierung der letzten Jahre, welche unserem Verein alles abverlangte, erfolgte im Jahr 2021. Unter der Leitung von Obmann Armin Grünbart, Säckelwart Andreas Sturm und Hallenwart Hans Achatz wurden die gesamte Elektronik ausgetauscht, der Brandschutz und diverse Sanitäranlagen auf den Stand der Technik gebracht und der alte Hallenboden ausgetauscht. Dieses Projekt mit einem Investitionsvolumen von knapp 1,5 Mio. Euro lässt die Jahnturnhalle nun in neuem Glanz erstrahlen.
Die Jahnturnhalle in Ried, ein Ort nicht nur der sportlichen Begegnung:
Im Laufe von knapp einem Jahrhundert wurden – stichwortartig – die unterschiedlichsten Veranstaltungen durchgeführt. Aktuell finden im Durchschnitt jedes 2. Wochenende sogenannte „Fremdveranstaltungen“ in der Jahnturnhalle statt. Die Turnhalle hat dies und andere Nutzungen „bravourös“ gemeistert:
- Theater und Kabarettvorstellungen
- Regelmäßig Bälle wie Schulabschluß- und Maskenbälle mit bis zu 2000 Gästen
- Tanzschulen
- Über mehr als 30 Jahre beherbergte die Jahnturnhalle das Rieder Arbeitsamt
- Die Anfänger der Handelsakademie (HAK) Ried liegen ebenfalls in der Jahnturnhalle, von 1954 bis 1963 wurde die städtische Handelsschule hier geführt.
- Die kaufmännische Berufsschule war in von 1955 bis 1961 Gast.
- Konzerte von regionalen und überregional bekannten Orchestern und Gruppen wie das Glenn Miller Revival Orchestra, Udo Jürgens, Reinhard Fendrich, Georg Danzer, Linzer Buam etc.
- Konzerte von Musikern mit Weltbedeutung wie z.B. dem Dirigenten Franz Welser-Möst, der die Jahnturnhalle immer wieder ob ihrer besonders hervorragenden Akustik „gelobt“ hat. Auch die Hochkultur war und ist immer wieder zu Gast in der Jahnturnhalle: die Wiener Symphoniker und das London Philharmonic Orchestra, die Tschechische Philharmonie und das Gustav Mahler Jugendorchester und viele mehr.
Auch wenn es für viele unvorstellbar war und ist – irgendwie, mit guter Planung, unter Aufbietung aller Kräfte, mit großem Idealismus und der finanziellen Unterstützung des Stadt Ried und des Landes Oberösterreich war es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder möglich, die Jahnturnhalle zu erhalten und zu dem zu machen, was sie heute ist. Den Mitgliedern unseres Turnvereins der vergangenen Generationen ist es zu verdanken, dass wir heute diese Jahnturnhalle haben. Sie waren es, die immer wieder persönliche und finanzielle Opfer gebracht haben, um den Verein zu erhalten. Viele tausende Stunden ihrer Freizeit haben sie verwendet um diesen einmaligen Bau in einem wahrlich grandiosen Weitblick zu schaffen.
Die Jahnturnhalle war und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein „Haus der Bewegung“, und nach 100 Jahren immer noch ein Schmuckstück mitten im Herzen von Ried.